? 2. Wie kam es zur grenzübergreifenden Hilfe? – Bürgerwiki Bodensee
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2. Wie kam es zur grenzübergreifenden Hilfe?

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Zu Anfang dieser Seminararbeit steht natürlich die Frage, wie und warum Schweizer Kirchengemeinden Kinder aus Friedrichshafen einluden, um sie dort zu bewirten und mit neuer Kleidung zu versorgen. Hierzu sollte man sich die Lebenssituation der „Häfler“ Buben und Mädchen im Jahre 1946 zu Augen führen.


2.1 Gründe für die Einladung in die Schweiz

Obwohl der letzte Bombenangriff auf Friedrichshafen am 25. Februar 1945 bereits mehrere Monate zurücklag, waren die Aufräumarbeiten noch lange nicht beendet.[1] Auch wenn sich viele Friedrichshafener Bürger der Beseitigung von Schutt und Zerstörung widmeten, konnte noch lange nicht von einem geregelten Wiederaufbau gesprochen werden.[2] Besonders die Kinder litten unter dieser Situation. Sie mussten mit ihren Eltern und Geschwistern in einer wenigen Quadratmeter großen Ein-Zimmer-Wohnung leben.[3] Auch wenn der Schulbetrieb schon kurz nach Beendigung des Krieges durch die französische Besatzung wieder eingeführt wurde, indem unzerstörte Gebäude in Schulgebäude umfunktioniert wurden, konnte keinesfalls von einer Rückkehr zum Alltag gesprochen werden.


Hinzu kam die erbärmliche Versorgungslage des Bodenseekreises nach dem 2.Weltkrieg.[4] Gründe für die mangelnde Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln aber auch Alltagsgegenständen waren die Einstellung der landwirtschaftlichen und industriellen Tätigkeiten in Folge des Krieges, aber auch die Einlagerung von Nahrungsmitteln durch die französischen und amerikanischen Besatzungstruppen in der näheren Umgebung.[5] Die Mangelernährung der Erwachsenen, und vor allem der Kinder, führte zu Krankheiten und starken Mangelerscheinungen.[6] So konnten Krankheiten wie Diphterie und Scharlach, sowie die Säuglingssterblichkeit nur „in verhältnismäßig niedrigen Grenzen gehalten werden“,[7], da sich der öffentliche Gesundheitsdienst um eine schnelle Impfung der gefährdeten Kinder und eine Verlegung von Erkrankten in Heilungsstättenbehandlung bemühte. Dennoch bleiben „die Auswirkungen auf Gesundheit und Körpergewicht der Bevölkerung“ unübersehbar und „die Widerstandskraft der Bevölkerung gegenüber früher noch erheblich beeinträchtigt“.[8]


2.2 Der Weg zur Überfahrt

Auf Grund dieses offensichtlichen Mangels, an beinahe Allem Lebensnotwendigen, kam es schon im März 1946 zu ersten Hilfslieferungen aus der Schweiz. So spendete die Seegemeinde Rorschach eine Motorbootladung Kleider für Männer, Frauen und Kinder, Schuhe, 89kg Lebensmittel, 103kg Waschseife und allerlei andere Gebrauchsartikel, die in Friedrichshafen dringend benötigt wurden.[9] Diese Spenden kamen vor allem auf Initiative der Kirchengemeinden Schweizer Seegemeinden, die ihren Glaubensbrüdern in deren schwersten Stunden beistehen wollten.


Höhepunkt dieser Spendenaktion von Schweizer Seite war die „Schweizer-Schulspeisung“.[10] Ab dem 24. September 1946 kamen 600 Schüler in den Genuss einer täglichen Schulspeisung, die auf der Unterstützung des Internationalen Roten Kreuzes in Genf beruhte. Hierzu wurden die Schüler der Friedrichshafener Schulen der Bedürftigkeit nach eingeteilt, da „die Schwächsten und Kränklichsten mehr berücksichtigt werden mussten, als die Gesünderen und wirtschaftlich Bessergestellten“.[11]

So bleibt es ein logischer Schritt, wenn auf die Spenden in die zerstörte Stadt das Angebot auf einen Tagesausflug folgte. Schließlich machten es die Partei „die Freisinnigen“ vor, als sie Kinder aus Bregenz nach Rorschach einlud um ihnen einen unbeschwerten Tag zu ermöglichen. So nahm der Pfarrer Fritz Rohrer aus Arbon bereits Anfang 1946 Kontakt mit dem Friedrichshafener Stadtpfarrer Eugen Schmid auf, um Schüler der evangelischen Schule nach Arbon einzuladen. Bevor dieser Besuch jedoch stattfinden konnte, mussten noch einige Hürden aus dem Weg geräumt werden. So musste Rohrer erst klären, ob sich in seiner Gemeinde genügend Familien dazu bereiterklären würden ein Kind aufzunehmen. Doch diese Befürchtung stellte sich als unbegründet heraus. Schließlich gab es sogar mehr Familien, die dazu bereit waren ein Kind aufzunehmen, als Kinder die die Reise antraten.[12] Außerdem erklärte sich die Gemeinde Romanshorn mit Pfarrer Pfenninger ebenfalls dazu bereit Kinder für einen Tag aufzunehmen, wodurch die Unterbringung aller 606 Kinder gewährleistet war. Weiterhin stand Stadtpfarrer Schmid aus Friedrichshafen vor dem Problem, von der französischen Gouverneursregierung für alle Kinder Einreisepapiere für die Reise in die Schweiz zu erhalten. Dies war nicht ohne weiteres möglich, da die Einreise in die Schweiz nur in drei bestimmten Fällen erlaubt war: „Nur bei dringenden Geschäftsreisen im Auftrag der französischen Militärregierung, bei Rückkehr der tatsächlichen Familienangehörigen oder bei Todesfällen der nächsten Angehörigen“ war deutschen Staatsbürgern die Reise in die Schweiz erlaubt. „Für Besuch, Erholung oder Arbeit in der Schweiz“[13] erhielt man keine Einreisegenehmigung. Diese Vorschrift setzte der französische Militärgouverneur Albert Merglen im Kreis Tettnang, jedoch kurzfristig außer Kraft, um dieser Form von Nachbarschaftshilfe nicht im Weg zu stehen.


So stand dem Besuch Friedrichshafener Kinder in den evangelischen Kirchengemeinden von Arbon und Romanshorn nichts mehr im Weg. Die Klassenlehrer informierten jetzt ihre Schüler, dass sie zu einem Tagesausflug in die Schweiz eingeladen seien. Am Sonntag, den 10. November 1946, sollte es so weit sein. 606 Kinder bereitet sich akribisch auf die bevorstehende Reise vor, indem sie Schilder bastelten, auf welchen später ihre zugeteilte Nummer stehen sollte, um sie einer Gastfamilie zuzuteilen[14] So hatten es die Pfarrer Schmid und Rohrer geschafft, den Kindern aus Friedrichshafen die Möglichkeit zu geben einen unvergesslichen Tag in der Schweiz zu verbringen.

Quellen und Verweise

  1. Vgl. Bild: Nagler, Hildegard, „Das Wunder einer Reise – Schweizer Kinder und ihre Reise ins Märchenland“, Juni 2003, S.28.
  2. Vgl. Schwäbische Zeitung am Dienstag, den 12. Februar 1946 „Wiederaufbau der Stadt Friedrichshafen“.
  3. Vgl. Bild: Nagler, Hildegard, Das Wunder einer Reise-Die Schweizer Kinder und ihre Fahrt ins Märchenland, Juni 2003, S. 44.
  4. Vgl. Bild: Nagler, Hildegard, Das Wunder einer Reise-Die Schweizer Kinder und ihre Fahrt ins Märchenland, Juni 2003 , S. 31.
  5. Vgl. Schwäbische Zeitung am Freitag, den 18. Januar 1946 „Milch und Käse jenseits der Zonengrenzen“.
  6. Vgl. Bild: Nagler, Hildegard, Das Wunder einer Reise-Die Schweizer Kinder und ihre Fahrt ins Märchenland, Juni 2003 S. 45.
  7. Zitat: Schwäbische Zeitung am Freitag, den 14. Dezember 1945 „Die gesundheitliche Lage des Kreises“.
  8. Zitat: Schwäbische Zeitung am Freitag, den 14. Dezember 1945 „Die gesundheitliche Lage des Kreises“.
  9. Vgl. Schwäbische Zeitung am Freitag, den 22. März 1946 „Schweizer Spende aus Rorschach“ und Bild: Nagler, Hildegard, Das Wunder einer Reise-Die Schweizer Kinder und ihre Fahrt ins Märchenland, Juni 2003, S. 39.
  10. Vgl. Schwäbische Zeitung am Donnerstag, den 5. September 1946 „Friedrichshafen, Tettnang und der Bodensee – Die Schweizer Spende“ und Freitag den 17. September 1946 „Friedrichshafen, Tettnang und der Bodensee – Die Schweizer Schulspeisung“ und Bild: Nagler, Hildegard, Das Wunder einer Reise-Die Schweizer Kinder und ihre Fahrt ins Märchenland, Juni 2003, S.40.
  11. Zitat: Schwäbische Zeitung am Freitag, den 27. August 1946 „Friedrichshafen, Tettnang und der Bodensee – An dem Besuch“.
  12. Vgl. Bild: Nagler, Hildegard, Das Wunder einer Reise-Die Schweizer Kinder und ihre Fahrt ins Märchenland, Juni 2003, S.98.
  13. Zitat: Schwäbische Zeitung am Freitag, den 18. Oktober 1946 „Friedrichshafen, Tettnang und der Bodensee – Einreise in die Schweiz“.
  14. Vgl. Interview mit Kurt Linse.



Beitrag des Graf Zeppelin Gymnasiums: Schweizer Kinderschiffe





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